Mut zur Endlichkeit
veröffentlicht am Dienstag, 03.11.2015
Wider die Hoffnungslosigkeit leben, als wüsste man wie das Leben gelingt
Die Vortrags-und Lesegesellschaft im Toggenburg lud den Theologen Fulbert Steffensky zu einem Abend ein. Er sprach zum Thema „Mut zur Endlichkeit“, unbequem und aufrüttelnd zwar, aber keinesfalls hoffnungslos.
Kathrin Burri
Es ist ein Anliegen der Vortrags und Lesegemeinschaft, im Laufe ihrer Jahresveranstaltungen auch solche mit spirituellem Inhalt anzubieten. Präsident Hans Jörg Fehle bringt es in seiner Begrüssung auf den Punkt, wenn er sagt, dass die Veranstalter davon ausgehen, dass im Erbe der Religion, wird es in Ruhe betrachtet, Impulse gewonnen werden, die im gegenwärtigen Alltag hilfreich sein können. Einer der sich darüber tiefgründige Gedanken macht, die Widersprüche des Lebens benennt und daraus unbequem, aber keinesfalls hoffnungslos Leitlinien für die Gegenwart sieht, ist Fulbert Steffensky. Der 81 jährige war bis 1998 Professor für Religionspädagogik in Hamburg und ist Autor zahlreicher Bücher zur christlichen Tradition für die Gegenwart. So sagt er gegen Ende des Abends: „Wir haben keine Zeit, hoffnungslos zu sein“. Dazu sei es Pflicht, trotz des Wissens, was unseren Enkeln und Urenkeln droht, das Leben so zu leben, als wüssten wir, wie das geht, zu lachen; als hätten wir Grund dazu, zu begreifen, dass unser Leben, nebst allen Ressourcen der Erde, endlich ist. „Vielleicht sind wir noch nicht zu spät mit dieser Einsicht“, fügt er an. Impuls dazu kann aus einem christlichen Grundwert gezogen werden, der heisst: Es gilt das Leben, das eigene und das der Mitgeschöpfe zu achten. Könnte dies zu einer Tugend für politisches Handeln werden?
Eigene Endlichkeit anerkennen
In bilderreicher Sprache schildert Steffensky die nahe Vergangenheit und die Gegenwart. Alte seien gebückt gegangen, mit zahnlosem Mund. Im Winter war es nur in der Küche warm, das Essen konnte im Sommer verderben und der „Nächste“ war einer, der im Dorf lebte. Die Kargheit, die Härte des Alltags habe eine innere Starre hervorgerufen, sei es im religiösen Denken, wie in der Enge des eigenen Horizontes. Man wusste, wohin man gehörte, was gut und böse war, wie die Rollen verteilt waren. Auch Gott war streng und allmächtig. – Heute ist die Welt offen und frei zugänglich, die Mobilität grenzenlos und das eigene Können ebenso. Gott wird, wenn schon, als „onkelhaft“ gesehen. Diese Freiheit birgt dennoch Gefahren. Der Mensch wird zum Sieger, zum Ausbeuter mit dem Zwang, alles zu können und alles zu beherrschen. Nicht dass Steffensky wieder zurück zu Kälte und zu geistiger Enge will. Nur muss beachtet werden: gleichzeitig überall zu sein und alles zu können, verhindert die Strukturen, die die Zeit schenkt, und verhindert das Gefühl, die Erde als Heimat anzuerkennen, verhindert letztlich, die Endlichkeit des eigenen Lebens zu akzeptieren, weil das Leben und alle Güter der Erde käuflich werden.
Gierige Sieger
Der Machbarkeitsgedanke macht denn auch nicht halt vor dem eigenen Körper. „Es gibt doch das Recht der Alten, sterben zu dürfen“ so Steffensky. Dazu wünsche er sich dereinst mutige Menschen an seiner Seite. So richtet sich das Plädoyer für eine neue Moral, die nicht das Siegen und das Ausbeuten auf ihrer Fahne hisst, an Einzelne. “Wir müssen geradezu wollen, dass wir uns begrenzen müssen“ so der Theologe „und Gesetze gegen die Verschleuderung einrichten.“ Dieser Imperativ braucht eine neue Ausrichtung. Steffensky wirbt für Askese mit einer sinnlichen und sinnhaften Lebensführung, für alte Begriffe wie: Tugend, Demut, Gnade. Dies befreit von der untragbaren Last, der eigene Hersteller seines Selbst zu sein, erlaubt Siegeszwänge samt Ausbeutung hinter sich zu lassen und Mut zur Endlichkeit aufzubringen.